Keine Chance auf die „Beerhall of Fame“

Wie sich der Sänger Hans Söllner erfolgreich dagegen wehrt, den Lodenmantel der Geschichte anzuziehen

Im groben Ganzen sind die Bayern ja ein grausliges Durcheinander. Aus Böhmen sind sie vielleicht eingewandert, die Bajuwaren, also wahrscheinlich eigentlich Mongolen oder Hunnen: dann die Römer mit ihrer halbscharigen Kolonialisierung bis zum Limes hin mit gelegentlichen Ausfällen gegen die räuberischen Stämme im herzynischen Wald und allfälligem Fraternisieren mit dem Marketenderinnenvolk; Merowinger, Hunnen und zuletzt vor zweihundert Jahren noch die napoleonischen Landsknechte: Das konnte ja nichts Ganzes und nichts Halbes, schon gar nichts Rechtes werden.

Außer Bayern. Freistaat Bayern.

Der wird seit nun schon unvordenklichen Zeiten von einer zu allem entschlossenen Kadergruppe beherrscht, die allem Bayerischen wohl will und alles Fremde sehr fremd und sehr abscheulich findet. Ganz besonders fremd ist dieser Nomenklatura ein Volkssänger, der im Reichenhallischen zu Hause ist, ausnahmsweise nicht dem Abfahrtslauf im Auftrag der Fa. Milka obliegt und dem auch sonst nichts Fruchtzwergiges eigen ist. Hans Söllner heißt der Lump und ist bisher erfolgreich der Gefahr entgangen, in einer wie immer gearteten bayerischen Beerhall of Fame aufgenommen zu werden.

Nicht schlechter als Dylan

Hans Söllner singt vor Publikum gern fröhliche Lieder. Manchmal begleitet er sich auf der Mundharmonika und phrasiert nicht schlechter als Bob Dylan oder klampft auf der Gitarre dazu wie Väterchen Franz in seinen besten Zeiten. Am besten ist Söllner aber mit seiner Stimme. Er singt nicht bloß (das kann Dylan auch einigermaßen), er versteht sich nicht bloß auf den Vortrag (Degenhardt!), er umschmeichelt und karessiert und liebkost und herzt die Sprache wie niemand sonst auf weiter grüner Flur. Einen Haken – muss man es sagen? – hat die Sache natürlich. Gedichte sind nicht zu übersetzen, und Hans Söllner ist nichts ohne seinen Ur-Laut, den heimatlichen Dialekt.
Außer dem Englischen gibt es bekanntlich nur noch eine Sprache, die sich zum Rappen eignet, und zwar, ja, genau: das Bayerische. Volks- und Brauchtumshauptdarsteller, die kleidsam Dirndl ausfüllen oder karlmoikschen Loden auftragen, wissen natürlich nichts davon. Wie sollten sie auch, wo in Bayern die Tradition der Volkssänger vom Weiß Ferdl und Karl Valentin bis zum Roider Jackl längst schnöd abgetrieben wurde. Wahrscheinlich hatte man doch zu große Angst, der Feriengast, der Sommerfrischler, der „Fremde“, der urlaubende Preuße könnte am Ende verstehen, worum es geht, nämlich vielleicht sogar gegen ihn. Das mag er nicht, der Preuße, und dann käme er womöglich nicht wieder, und wir könnten dann schauen, wo wir bleiben! Anscheinend hat es sich aber hier im Land noch immer nicht herumgesprochen, dass die prospektiven Touristen gleich in die Karibik fliegen und sich lieber der Sonne als den g’scherten Sprüchen im Bayerischen auszusetzen. So lebt Söllner weiter damit, in seiner wahren Größe unbekannt zu bleiben, und er lebt ganz gut damit.
Söllner, das muss man an dieser Stelle vielleicht ins Feuilleton hinüber sagen, Söllner ist kein Feingeist. Ihm ist nichts Niedriges fremd. Wenn er auf der Bühne steht, spricht er geläufig vom „Scheißen“, „Wichsen“, „Ficken“ und allem, was man halt so tut den lieben langen Tag. Noch lieber aber als den Einsatz von lutherdeutschen Begriffen frönt er einem etwas aus der Mode gekommenen Hobby: Er beleidigt ständig fremde Menschen. Manchmal begnügt er sich mit pauschalen Kosenamen für die Polizei, manchmal geht er gleich zum Chef und dem bayerischen Innenminister an die Ehre.
Günter Beckstein gehört offenbar zu den treuesten Hörern Söllners. Der Mann hat Geschmack. Leider hindern ihn seine vielfältigen Abschiebungs- und Abschreckungspflichten daran, jedes der Konzerte Söllners persönlich zu besuchen. Deshalb greift er gern auf Außendienstmitarbeiter zurück, die sich unauffällig unters Publikum mischen und zaghaft mitjohlen, wenn Söllner den Beckstein mal wieder mit Eigenschaftswörtern aus dem Fäkalbereich bedenkt. Hans Söllner pflanzt Marihuana an, verabschiedet sich bei seinen Konzerten gern mit dem Hinweis in die Pause, dass er jetzt eine rauchen müsse, aber erstaunlicherweise hat er sich seinen Verstand nicht aus der Birne gekifft. Manchmal nämlich kann er todernst werden. „Welchen Anspruch auf Ehre hat ein 60-jähriger Mann, der es nötig hat, als Innenminister über Monate hinweg einen 14-jährigen Deutschen mit türkischem Namen über Medien und mit Polizei zu verfolgen und in das Land auszuweisen, das nicht seine Heimat ist?“ So was kostet Geld; 140 000 Mark wegen „Ehrbeleidigung hochgestellter Persönlichkeiten“. Komisch, wo dieses Überangebot an Ehre neuerdings herkommt? „Wo war meine Ehre, als acht Polizisten bei einer Nacht-und-Nebel-Aktion mein Auto durchsuchten, mein Hinterteil und mein Geschlechtsteil anfassten, mich eineinhalb Stunden belästigten, mich mit Waffen bedrohten und nicht einmal ein Wort der Entschuldigung über ihre Lippen kam, als sie nichts bei mir fanden?“

Kiffen statt Kirche

Ja, es ist wahr, Söllner ist ein Grobian. Als Schwiegersohn ist jeder Schalterbeamte der HypoVereinsbank besser geeignet als dieser kiffende, fluchende, Staat, Kirche, Religion und den gehobenen Geschmack beleidigende und dann auch noch das Hochdeutsche weiträumig umfahrende Rastafari. Als der Bayer Peter Sloterdijk noch ein Philosoph war und nicht Industrieberater, hat er die kynischen Tugenden des Diogenes als Hilfsmittel gegen die Mächtigen propagiert. Hans Söllner ist der Einzige, der sie praktiziert, der Einzige, der sich noch wehrt. In Bayern und erst recht sonst haben wir keinen Besseren. Habe die Ehre, Herr Söllner.

(WILLI WINKLER – Süddeutsche Zeitung)