DIE WELT – 26.12.15 –Interview mit Hans Söllner
 „Wenn es okay ist, gebe ich Ihnen meinen Urin“
Am Heiligen Abend wurde Bayerns aufsässigster Liedermacher 60 Jahre alt. Hans Söllner über Kiffer, Politiker und eine Urinprobe, bei der ihm ausgerechnet ein Polizeibeamter aus der Patsche half.
Von Herrmann Weiß
Sportlich schaut er aus, der Söllner Hans, im Kapuzenpulli mit der Multifunktionsjacke darüber. Aber sein kantiges Gesicht hat auch etwas Mönchisches. Einiges hat sich da eingegraben – was, „darauf kommen wir schon noch“.
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Die Welt: Sie sind jetzt 60. Wie geht es Ihnen damit?

Hans Söllner: Ja, wie geht’s mir? Ich hab‘ nicht das Problem eines 60-Jährigen, der 30 oder 40 Jahre gearbeitet hat und um eine Rente betteln muss. Finanziell bin ich auf der Sonnenseite. Ich bin frei. Selbst hätte ich vielleicht gar nicht mitgekriegt, dass ich 60 werde. Die anderen haben’s mir gesagt und jetzt nehme ich es halt, wie es ist: Ich hab‘ 60 Jahre gelebt. Ziemlich gut sogar. Natürlich habe ich meine Sachen zu erledigen gehabt – und andere Leute haben ihre Sachen mit mir erledigt. Aber ich kann nicht wirklich klagen.

Die Welt: Die Polizei hat Sie Ihr halbes Leben lang gejagt.

Söllner: Mittlerweile haben wir ein gutes Verhältnis, weil die begriffen haben, dass es mir nie darum gegangen ist, die Polizei niederzumachen oder irgendwelche Richter. Es ist mir um mein Recht gegangen, dass ich auch mit Dreadlocks von Reichenhall nach München fahren kann, ohne dass sie mich viermal aufhalten und mir die Hose runterziehen. Aber es ist halt immer wieder einer dabei, der meint, jetzt krieg‘ ich dich, du Drecksau. Und es ist faszinierend, wie sie es seit 40 Jahren immer wieder mit den gleichen Tricks probieren: „Ja, hier riecht’s doch nach Marihuana?“ Darauf ich: „Es muss hier nach Marihuana riechen! Sonst wäre nämlich keine Gefahr im Verzug. Und Sie dürften mich nicht kontrollieren.“

Die Welt: Sie sind bekennender Kiffer, für die Legalisierung der Droge.

Söllner: Ich kiffe, weil es mich inspiriert. Beim Musikmachen. Beim Schreiben. Weil ich dadurch meine Gedanken auf die Reihe bekomme. Weil ich da bleibe und nicht abdrifte. Und ich hab‘ immer gesagt: Ich bin nicht für die Legalisierung, sondern für die Entkriminalisierung des Marihuana-Konsums.

Ich hab‘ kein Problem damit, für etwas bestraft zu werden, wenn es strafbar ist – also so, wie wenn sie dich mit 0,8 oder 1,2 Promille am Steuer erwischen. Aber Kiffer sind bei uns Freiwild. Du kannst heute Flüsse verseuchen, einfache Leute betrügen oder gegen Minderheiten hetzen und es passiert dir nicht großartig was. Aber als Kiffer kannst du sehr viel verlieren: Lehre, Führerschein, Job. Alles geht drauf, wenn sie dich mit drei Gramm erwischen. Das geht so nicht mehr. In der heutigen Zeit.

Die Welt: Ist es wahr, dass Ihnen ein Polizist bei einer Kontrolle mit seinem Urin aus der Patsche geholfen hat?

Söllner: An diesem Tag hat dieser Polizist tatsächlich die Reset-Taste gedrückt. Es ging dabei nicht darum, dass ich bekifft Auto gefahren wäre. Aber ich wäre beim Urintest positiv gewesen, weil ich am Abend davor, wie immer vor meinen Konzerten, einen Joint geraucht habe. Da sagt dieser Polizist: „Herr Söllner, wenn Sie einverstanden sind, gebe ich Ihnen meinen Urin.“ Seitdem bin ich mir sicher, dass das geltende Sanktionensystem ein Auslaufmodell ist – wenn schon die Polizei es in Frage stellt.

Die Welt: Unter den Leuten, mit denen Sie Ihre Sachen zu erledigen hatten, sind viele CSU-Politiker. Für Ihre verbalen Attacken haben Sie im Lauf der Zeit 300.000 Euro Strafe gezahlt. Welcher Teufel hat Sie da geritten?

Söllner: Mein Teufel heißt Freiheit. Und die hat was mit Erkennen zu tun. Als ich in den 80-ern auf den Gauweiler losgegangen bin und gesagt hab‘, der hat ein Gesicht, als ob wir die Reichskristallnacht noch vor uns hätten, hatte er grad diesen Katalog verfasst, in dem sinngemäß stand: Alles, was eine dunkle Hautfarbe hat und vier Leberflecke auf vier Quadratzentimetern, hat möglicherweise Aids. Das kann man doch nicht durchgehen lassen.

Die Welt: Ausgerechnet den kreuzbraven Günther Beckstein haben Sie als Nazi hingestellt: „Früher warn’s de Juden, heit de Türken“, heißt es in „Mei Angst“, einem Song aus den 90-ern zum Thema Fremdenfeindlichkeit.

Söllner: Der Beckstein ist kein Braver! Das ist ein Falscher. Bigotter. Hinterfotziger. Definitiv war er es, der gesagt hat, die Moschee bleibt in Istanbul und die Kirche bleibt im Dorf. Das ist weder christlich noch sozial noch ist es anständig. Aber so machen sie es immer. Auch jetzt wieder, mit den Flüchtlingen. Sie schaffen Feindbilder da draußen, die keine Feindbilder sein dürfen. Es sind Menschen, egal wo sie herkommen, egal, aus welchem Grund sie unterwegs sind und warum sie ihr Land verlassen haben. Außerdem sollten wir uns schon auch überlegen, was wir selbst zur Situation der Flüchtlinge beigetragen haben.

Die Welt: Wie meinen Sie das?

Söllner: Naja, auch ich, der hier groß daherredet, hab‘ Steuern gezahlt. Ein Teil geht in die Rüstungsindustrie, die ihre Panzer an die Saudis verkauft, die damit andere Länder überfallen. Dafür bin ich zwar nicht verantwortlich, aber ich habe das mit meinen Steuern unterstützen müssen. Nicht dürfen oder können oder wollen, sondern: müssen. Ich hab‘ nicht sagen können, dass ich dieses Jahr statt 30.000 nur 26.900 Euro überweise und den Rest ziehe euch ich ab, weil ihr den eh bloß in die Rüstung steckt. Würde ich das tun, würden meine Konten gesperrt, ich wäre ein Steuerhinterzieher oder so und dann sperren sie mich vielleicht noch ein. Freiheit wäre, wenn man in diesem Fall eine Wahl hätte.

Die Welt: Horst Seehofer glaubt, dass Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien „den Menschen in der Region am meisten helfen“.

Söllner: Für mich ist das Beihilfe zum Mord. Das habe ich auch so gesagt.

Die Welt: Wegen Ihrer direkten, derben Art nennt man Sie auch die „Sau von Berchtesgaden“. Nicht schön, oder?

Söllner: Also, ich finde, man muss schon auch was sagen dürfen. Und zwar so, dass man es in der Gegend, wo’s passiert, auch versteht. Im Dialekt. Was von mir kommt, ist halt keine ausgedachte Sonntags- oder Neujahrsrede, die irgendwer der Merkel schreibt. Ich muss meine Reden selber schreiben. Und es sind dann halt auch meine Buchstaben, meine Wörter und meine Sätze.

Die Welt: Stört es Sie nicht, dass wir hier ständig von Ihren Skandalen reden, aber noch nicht ein einziges Mal über Ihre Musik gesprochen haben?

Söllner: Es sind für mich keine Skandale. Es war Teil meiner Kreativität. Ich hab’s in dem Moment einfach so leben müssen.

Die Welt: Musikalisch waren Sie erst der Gaudibursch, dann der Nachdenkliche und Politische. Heute gehört Ihre Seele dem Reggae.

Söllner: Ich bin in allem ziemlich einfach strukturiert, in meiner Musik, in meiner Esserei, in der Lebensweise. Ich brauch‘ nicht viel. Kein Essen mit fünf Gängen für 90 Euro. Im Gegenteil. Ich krieg‘ mit wenig Geld fünf Leute satt, mit dem Besten vom Besten, nur heißt das bei mir: Kaspressknödel mit Salat und Gmiassupp’n. In der Musik ist es so, dass das meiste ein Schema hat: Der Blues hat eins und auch der Zwiegesang. Aber ich hab‘ mich nie an ein Schema halten können. Beim Reggae reicht ein Griff auf der Gitarre, den du dreimal, achtmal, eine Viertelstunde lang spielst. Das ist das, was ich kann. Weltklassemusiker und Musiklehrer haben oft zu mir gesagt: Das ist gut, was du da machst, Hans! Aber für mich ist es halt das Einfachste.

Liedermacher und Rebell: Er wird nie einen Preis des Freistaats für sein Lebenswerk bekommen. Als „ewiger Revoluzzer“ passt der Liedermacher Hans Söllner, gelernter Koch und Automechaniker aus Reichenhall, aber perfekt in die Ahnengalerie der Quertreiber und Outlaws, auf die man in Bayern immer stolz gewesen ist. Seine erste Platte („Endlich eine Arbeit“) erschien 1982, die jüngste („Zuastand 2“) ist von 2013. Söllner mag Familie, hat fünf Kinder. Zuletzt hat er bei Knaus seine Erinnerungen veröffentlicht.