GUTACHTEN

von Prof.Dr.Erich Kleinschmidt, Ludwig-Maximilians-Universität

im Strafverfahren gegen den Liedermacher Johann Söllner

1. Grundlagen und Struktur des Gutachtens

Das Gutachten basiert auf den Textzitaten des Strafbefehls Cs 112 Js 3397/88 sowie auf einer Aufnahme eines Konzertmitschnitts als reine Tonkassette mir unbekannten Datums. Einbezogen wurde auch eine Videokassette ebenfalls mir unbekannten Datums, die im erstinstanzlichen Verfahren ausschnittweise vorgeführt wurde.
Die Begutachtung erfolgt unter textwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Dabei wird zunächst der fiktionale Status der Lied- und Sprechtexte untersucht (Zf.2). In einem zweiten Schritt wird dann allgemein das von Söllner aktivierte sprachliche Zeichensystem analysiert (Zf.3). In einem letzten Schritt geht es dann um eine detailliertere Rekonstruktion’und Bewertung der im Strafbefehl inkriminierten Textstellen (Zf.4).
Bewußt wird nicht zum strafrechtlich anstehenden Tatbestand Stellung genommen, dessen Würdigung sich meiner Kompetenz entzieht. Es geht mir darum, die textfunktionalen Grundlagen und Gegebenheiten auf der Basis eines derzeitigen Wissenschaftsverständnisses von Literatur und Sprache für die Söllnerschen Texte zu vermitteln. Daß textwissenschaftliche Standards nicht ohne weiteres einem allgemeinen, ’naiven‘ Textumgang entsprechen sollte kein Hinderungsgrund für ihre faktische Gültigkeit und ihre Akzeptanz sein.

 

2. Textsystematische Aspekte

Liedtexte wie auch verbindende Sprechtexte Söllners sind aus textwissenschaftlicher Sicht dem Bereich’fiktionale Rede‘ zuzuordnen. Der Autor der Texte, dessen gleichzeitige Rolle als Interpret für den Funktionsstatus der Äußerungen unerheblich ist, weil sie grundsätzlich auch ein anderer Sänger vortragen könnte, entwirft eine künstliche Rolle, aus der heraus er formuliert,und auf die wiederum rückbezogen eine angemessene Rezeption erfolgen muß.

Das Vorliegen von Rollenrede gilt dabei zunächst in einem allgemeinen Sinne. Das Verfassen von Liedern und ihre Präsentation im Rahmen eines öffentlichen, zudem noch nur gegen Entgelt zugänglichen Konzerts stellt eine spezifische, gesellschaftlich anerkannte Formulierungssituation dar, bei der der Inszenierungscharakter von Texten und ihrem Vortrag eindeutig ist. Es existiert ein künstlicher Funktionsraum, der schon rein äußerlich durch die Umstände der Darbietung markiert wird, der aber auch durch die gewählte formale Vermittlung der Texte in Liedern zum Ausdruck kommt. Das texttheoretisch als ‚Verfremdung‘ bezeichnete Signal ist wichtig für die Einordnung von Texten in fiktionaler Funktion.

Das Vorliegen von Rollenrede wird sogar noch anschaulicher greifbar auf der Ebene der einzelnen Liedtexte. In ihnen nimmt der Autor jeweils unterschiedliche Rollen ein (als Autofahrer, Disco-Besucher, Liebhaber, Nachbar usw.), die vom Rezipienten typolo- gisch identifiziert werden. Eine direkte Zuordnung auf den Verfasser Söllner verkennt, daß dieser ja nicht direkt als konkretes, bürgerliches Individuum formuliert, sondern daß das Äußerungssubjekt der Texte ein jeweils nur fingiertes ist. Textheoretisch ist der ‚Erzähler‘ eines fiktionalen Textes nicht identisch mit dem Autor.

Daß Autoren wie auch Söllner immer wieder diese Differenz zu unterlaufen suchen und trotz fiktionaler Rollenrede auf die Identifikation von ‚Erzähler‘ und sich selbst hinweisen, ändert nichts am grundsätzlichen, texttheoretischen Sachverhalt. Der biographistische Aussagegestus ist faktisch als spielerisches Moment aufzufassen, das den fiktionalen Textstatus zwar oberflächlich betrachtet aufzulösen scheint, gerade deshalb aber dessen Verfremdungsleistung nur selbst wieder unterlaufend zitiert und damit bestätigt.

Aus der fiktionalen Rollenstruktur heraus entzieht sich also an sich textwissenschaftlich gesehen der Vortragstext in Lied-wie Sprechform einer direkten Sanktionierung. Fiktionale Aussagen simulieren zwar pragmatische Sprechhandlungen, doch fehlt jenen im Gegensatz zu diesen die soziale Verbindlichkeit. Die Aufforderung im Lied zu einem bestimmten Verhalten – etwa sich als Verkehrsrowdy zu benehmen – wird vom Rezipienten nicht als direkter Appell verstanden, den man befolgen müßte. Der fiktionale Sprechakt gilt nur innerhalb der ’szenischen‘ Situation, nicht aber im realen Leben.

Daß Mißverstehen dieser Gegebenheit gehört zur anekdotischen Topik vor allem der Theatergeschichte. Der Zuschauer, der das auf der Bühne Gesprochene als ‚wirklich‘ annimmt und entsprechend darauf reagiert, gibt sich im Urteil des kompetenten Publikums der Lächerlichkeit preis. Andererseits spielen Autoren oft mit der Möglichkeit, die fiktionale Sprechsituation zu pragmatisie-ren, d.h. sich doch direkt an das Publikum zu wenden, obwohl ei- ne Äußerung an sich nur intern gültig ist. Dieses Durchbrechen der fiktionalen Textkonvention ändert aber nichts an der grundsätzlichen Sachlage.

Im Zensur-Umgang mit fiktionalen Texten artikulierte sich immer wieder deren Fehlinterpretation als einer pragmatisch verstehbaren Aussage. Um dieser Praxis entgegenzutreten haben aufgrund geschichtlicher wie gegenwärtiger Erfahrungen die rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnungen das Prinzip der Kunstfreiheit eingeführt, das im Funktionsbereich von Texten als Sanktionsfreiheit der Fiktion zu konkretisieren wäre. ‚Künstlerische’Texte sind durch ihren fiktionalen Status entpragmatisierte Äußerungen, die durch die formalen, aber auch institutionellen Rahmenbedingungen ihrer Realisierung deutlich von einem verbindlichen, lebenspraktischen Sprachhandeln unterschieden sind.

Was im Bereich traditioneller Literaturgattungen heute weitgehend unstrittig ist, gerät im Umfeld eines in die Lebenspraxis eingreifenden, sozialen und politischen Literaturbegriffs , wie er vor allem im 20.Jahrhundert ausgebildet worden ist, in eine vermeintliche Grauzone. Der fiktionalen Äußerung wird ein Realitätsbezug zugeordnet, der ihre Pragmatisierung nahelegen soll. Trotz einer solchen Intention, die gerade im Bereich des politischen Kabaretts und der Liedermacherszene anzutreffen ist, bedeutet dies keine Aufhebung der textwissenschaftlichen Voraus- setzungen, deren Gültigkeit nicht zuletzt in der Erfahrung gesellschaftlicher Unwirksamkeit engagierter und politisierter Litera-tur ihre Bestätigung findet und auch als Ohnmachtsbewußtsein von den Autoren artikuliert wird.

Söllners Lieder und seine den Vortrag verbindenden Zwischentexte verstehen sich zwar ohne Zweifel als politisch konotierte Äußerungen, doch macht ihre Anlage vielfach deutlich, daß an eine konkrete soziale Eingriffsmöglichkeit faktisch nicht gedacht ist. Sie haben den Charakter von Wirklichkeitskommentaren, die in der Regel grotesk überzeichnet sind und damit eindeutig den Realitätsbezug auflösen. Die Zitierung von Zuständen, Vorfällen und personellen Konstellationen ist dabei notwendig, um den Rezipienten ein Wiedererkennen ihm an sich lebenspraktisch vertrau-ter Gegebenheiten zu ermöglichen, aber gerade die Art des ‚Zitats‘ signalisiert unzweideutig eine Verfremdung, die keine ‚wörtliche‘ Verständnisebene ermöglicht.

 

3. Zeichensystematische Aspekte

Sprachliche Kommunikation beruht auf der Vermittlung eines sowohl syntaktisch als semantisch organisierten Zeichensystems, das prinzipiell von Textproduzenten wie Textrezipienten gleichermaßen beherrscht werden muß. Es ist konventionalisiert. Im norma- len Sprachgebrauch werden die Konventionen in der Regel eingehal-ten. Im literarischen Anwendungsbereich werden auch Verstöße akzeptiert, was für die künstlerische Bewertung eines Textes gera-dezu ein Merkmal sein kann. Im vorliegenden Fall der Söllnerschen Texte scheint bei oberflächlicher Betrachtung diese Dimension nicht vorzuliegen, doch muß sie auf einer spezifischen Ebene doch eingeführt werden. Söllners Texte sind in ihrer dialektalen Strukturierung nicht nur Ausdruck einer regional betonten Äußerungsform, sondern sie nutzen bewußt die Möglichkeiten des bayerischen Dia- lekts (faktisch handelt es sich nur noch um eine dialektal gefärb- te Umgangssprache), um die angesprochenen sozialen und politischen Probleme über ein spezifisches Zeichensystem zur Geltung zu bringen. Die mundartlich gebundene Darstellung ist funktional als ein spezifisches Literarisierungssystem einzustufen, dessen erkennbar gesuchte Drastik gerade auch aus der Distanz zu hochsprachlichen Äußerungsnormen ihre provokative Wirkung bezieht.
Die Sprache Söllners entwickelt einen aggressiven Ausdrucksgestus, der als Bestandteil der inhaltlichen Aussage einzuschätzen ist. Zum einen wird dadurch ein spezifisch bayerisch projizierter, soziokultureller Lebensraum zu charakterisieren und dann auch zu entlarven versucht, zum anderen geht es dabei auch um die reproduktive Zitierung sprachlicher Umgangsformen. Die Interaktionsformen des Biertisches werden ebenso aufgegriffen wie die Möglichkeiten von Soziolekten (Jugendsprache vor allem) eingesetzt sind. Aus der Entscheidung für eine zugleich intellektuell undifferenzierte und latent oder explizit aggressive Sprachsphäre beziehen die Söllnerschen Texte ihre Wirkung.

Die Reproduktion eines sprachlichen Zeichensystems beschränkt sich dabei nicht nur auf eine soziolektale Stilistik, sondern sie bezieht sich ausdrücklich auch auf die Interaktionsformen politischer Inhalte. Mit beiden Funktionsansätzen bewegt sich Söllner in der herkömmlichen Praxis von Kabarebt und Liedermacherszene, die er nur bayerisch konturiert. Diese Akzentsetzung erklärt sich zum einen aus der lebensräumlichen Einbindung Söllners, zum ande-ren ist sie auch durch den angestrebten Publikumsbezug bestimmt. Insofern spielt die Erkennungsmöglichkeit der Textanspielungen eine wichtige Rolle. Söllners Texte funktionieren nur dadurch, daß sie sich unmittelbar in geläufige Strukturen sprachlich wie inhaltlich einklinken. Dies gilt dann natürlich auch für politische Kontroversthemen und Sprachregelungen, wobei soziale Ausgrenzungsund Diffamierungstechniken von Söllner bewußt aufgegriffen werden. Sie sind für ihn schon deshalb anziehend, weil sie sein aggressives Äußerungspotential bestätigen, das aber nicht Selbstzweck, sondern auch Bestandteil einer Dokumentations-, wenn nicht sogar Entlarvungsstrategie ist.

Söllners Texte reproduzieren im Funktionsrahmen politischer Kontro- versen spezifische Sprachstrategien, die durchaus verletzender Art sind, aber zweifellos zur ReTaität privater wie auch öffentlicher Sprache gehören. Söllner reagiert auf Gegebenheiten, die man kritisieren kann (vielleicht auch muß), die aber gerade in ihrer unreflek- tierten Selbstverständlichkeit nur allzu geläufig den gesellschaftli- chen Sprachumgang bestimmen. „Andere singen oft über die Wirklichkeit, Söllner singt die Wirklichkeit.“(M.Frank in: SZ 25./26.11.89) In dem Maße wie Söllner selbst denunziatorisch Sprache einsetzt und jeweilige Herkunftsbereiche benennt, macht er Strukturen zumindest potentiell bewußt. Daß für viele Rezipienten der Umgang mit Söllners Texten eher affirmativ erfolgt und die kritische Verfremdungsleistung politischer Sprachpraxis nicht erkannt wird, kann man als Leistungsdefizit vermerken, doch besagt die mangelnde Effizienz nicht schon etwas für eine sachlich rekonstruierbare Darstellungsintention.

 

4. Zeichenspezifische Anmerkungen

Vor dem Hintergrund der allgemeinen Ausführungen sollen ergänzend zu den vier explizit im Strafbefehl benannten Stellen einige Anmerkungen gemacht werden, um die sprachlichen Strategien Söllners erkennbar werden zu lassen.

Zur Konkretheit der politischen Konfliktsprache gehört die Verwendung einer personenbezogenen Anspielung. Denkbar wäre zwar auch eine Anonymisierung ohne explizite Namensnennung, doch bedeutete dies den Verzicht auf Präzisierung des politischen Konfliktfeldes. Existente Politiker, die auch als Vertreter bestimmter thematischer Positionen allgemein bekannt sind, werden deshalb benannt, weil nur so die Aussage eindeutig situiert werden kann. Andererseits erfolgt ihre Zitierung immer auch rollenspezifisch und damit verallgemeinernd (gut belegbar im Fall 2d).

Söllner verzichtet grundsätzlich (und nicht nur bei den inkriminierten Stellen) auf Chiffrierungen, wie sie häufig in Kabarett-und politischen Liedtexten praktiziert werden. Dieser Grad an Direktheit verschärft zwar eindeutig den Angriff, doch ändert auch eine Verschleierungsstrategie, wie sie im einzelnen auch instrumentiert sein mag, keineswegs etwas an der Grundsituation eine verbalen Konfliktstrategie. Deren Subtilität kann nicht Maßstab der Sanktionierbarkeit sein, abgesehen davon, daß diese aufgrund der textsystematischen Gegebenheiten einer nur fiktionalen Redekonstellation ohnehin unangemessen ist.

Die Belegstellen 2/3 a-c greifen auf entweder wörtliche(a und c) oder situative (b) Politiker-Äußerungen zurück, die öffentlichvielfach diskutiert worden sind, wobei genauer Wortlaut und situationsgerechte Exaktheit (wie im Fall b die Frage der Zwangsinternierung von AIDS-Kranken) nicht die entscheidende Rolle spielen, sondern nur die prinzipielle Geläufigkeit. Söllner geht es nicht um Originalität seiner Konfliktbezüge. Für ihn steht gerade die Trivialität der Aussagen im Vordergrund. Er nutzt damit eine Sprachpraxis, wie sie auch innerhalb populistischer Redeformen von Politikern gerne genutzt wird. Das rasch begreifbare, anschauliche Moment steht hier im Vordergrund der Äußerungsweise, gerade wenn sie aggressiv und denunziatorisch sein will. Söllner erfindet aber diese Praxis nicht, sondern er imitiert sie.

Als Mittel der politischen Konfliktsprache dient der Rekurs auf ein allgemein identifizierbares Zeichensystem, wie dies vor allem Zitat b) belegt. Die Zitierung von Reichskristallnacht, Nürnberg und Dachau funktioniert als negative Indikation nur angesichts eines jederman geläufigen geschichtlichen Bezuges von nationalsozialistischer Judenverfolgung, Machtergreifung und KZ-Lager. Indem der Politiker Gauweiler in diesen (nicht von Söllner erst erfundenen, sondern auch sonst pressemäßig vielfach hergestellten) Zusammenhang totalitärer Realität gerückt wird, bekämpft Söllner ein politisches Entscheidungsklima. Die Personalisierung ist da-bei Mittel zum Zweck und nicht nur Selbstzweck. Bei der weiteren, personalisierten Bloßstellung durch eine (homo-) sexuelle Konotation greift Söllner bewußt auf eine ‚klassische‘ Denunziationsstrategie zurück, die aber im vorliegenden Fall zeichensystematisch an der sexuell besetzten AIDS-Thematik ansetzt und somit nicht frei zugeordnet ist. Söllner reproduziert hier ein Trivialschema, dessen individueller Zuordnungswert durch die Beziehung zur politischen Kontroversthematik weitgehend entschärft ist. Es bleibt allerdings ein Moment von Lächerlichkeit erhalten, das durch sprachspielerische Zuspitzung (2b) unterstützt wird. Diese verfremdet andererseits aber auch die Aussage wieder.

Kollektive politische Kontroversstrategien werden in Beleg 2d/3d eingesetzt. Den Bezugsrahmen liefert wiederum die nationalsozialistische Sphäre, aus der Personen und die Vernichtung der Juden mit zeitgenössischen Politikern und potentiell unterstellten Entwicklungen aktuell verglichen werden. Das Schema ist nicht originell, sondern gehört zum Abwertungsinventar politischer Konfliktsprache. Dies relativiert die spezifische Zuordnung. Hinzu kommt, daß der ‚Vergleich‘ nicht über eine präzis definierte Konotation hergestellt wird, sondern Hitler/Himmler dienen als längst allgemein gewordene, negative Personalmetaphern, deren Funktion auf der gleichen Ebene wie die Denunziationsvokabel ‚Faschist‘ (wie in Beleg 2/3c) anzusetzen ist.

Aufschlußreich als Beleg für die sprachliche Konfliktstrategie Söllners ist Beleg 2c/3c, als hier eine Legitimation argumenta- tiv hergestellt wird, um den Politiker Strauß als „Faschisten“ bezeichnen zu können. Äußerungen von Strauß, die öffentlich diskutiert worden und entsprechend als allgemein bekannt vorauszusetzen sind, werden sprachlich dadurch negativ bewertet, daß ih-nen kompensativ eine personale Beurteilung mit subjektivem Akzent („für mich“ 2c) entgegengesetzt wird. Formal ist dies ein Mittel, ein politisches Urteil aus der Sicht eigener Betroffenheit zu artikulieren, wobei eine enge, personalisierte Zuordnung nicht unbedingt im Vordergrund steht. Primär werden die (ihrerseits ja denunziatorischen) Äußerungen von Strauß wertend bloßgestellt. Dadurch illustriert Söllner politische Interaktionsformen im öffentlichen (und deshalb auch 2c eigens benannten) Sprachbe-reich, der damit auch grundsätzlich zur Debatte gestellt wird. Dieses Wirkungsmoment liegt denn auch auf sprachspielerischer Ebene in den Belegen 2a/3a vor. Die assoziativen Mechanismen eines aggressiv besetzten politischen Sprachraums (auf der Primär- wie auf der Sekundärseite) werden so vorgeführt.
Nachtrag

Dies gilt insbesondere auch für die erstinstanzlich allein noch als Beleidigung gewerteten Äußerungen. Im ersten Fall wird durch die Verbindung einer allgemein geläufigen Beschimpfungsvokabel („Arsch“) mit homosexuellen Vorstellungen bei gleichzeitiger personeller Zuordnung ein Assoziationsraum bewußt gemacht, der wie immer bei Söllner triviale Urteilsmuster mit einem Darstellungskalkül bewußt verbindet. Dieses ist vulgärer bis obszöner Provenienz, gehört aber zur ‚künstlerischen‘ Technik des Liedermachers, die seinen Erfolg wohl ausmacht. Der Akzent liegt dabei auf dem Diffamierungsmuster, das als witzige und attraktive Pointe begriffen wird, wobei die personellen Bezüge imgrunde unwichtig sind.

Deutlicher wird dies noch im zweiten, erstinstanzlich inkriminierten Beleg (Toolwood-Festival 1.7.88), das von einer allgemeinen Beschimpfungsstrategie ausgeht. Das Obszöne ist der eigentliche Reiz, um den es Söllner geht. Die personelle Zuordnung wäre jederzeit austauschbar, ohne daß der aggressive, antiobrigkeitliche Aussagegestus dadurch.an Wirkung verlieren würde.

Billigt man Söllner den grundsätzlichen Gebrauch grober, vulgärer und obszöner Sprache als Darstellungsmittel zu, das einer existenten (und den Zuschauern bewußten) Praxis in der alltäglichen Wirklichkeit entspricht, so wird dieses von den Rezipienten als typisches Stilmerkmal begriffen und entsprechend erwartet. Dies bedeutet aber, daß nicht die personelle Zuordnung der Auslöser von Vulgarismen ist, sondern daß alle angesprochenen Themenkreise in gleicher Weise abgehandelt werden. Schon aus diesem textsystematischen Gestaltungsaspekt heraus ist eine herausgelöste Bewertung von Einzelbelegen nicht zu rechtfertigen. In dem Maße wie ein ganzes Programm ästhetisch auf’Beleidigung’abzielt und daraus seine Wirkung bezieht, relativiert sich sein politischer und personenbezogener Teil. Die Beschimpfung wird zum allgemeinen Stilmittel, das als solches zählt. Der betroffene Gegenstandsbereich, sei er allgemeiner (Staat, Regierung usw.) wie persönlicher Art, ist somit mehr Anlaß als individuelles Ziel.
5 . Zusammenfassendes Votum

Die Texte Söllners sind eindeutig einer fiktionalen Redekonstellation zuzurechnen und unterliegen aufgrund dieses Textstatus zumindest theoretisch keiner primären Sozialdisziplinierung, wie diese für pragmatisches Sprachhandeln gilt.

Der Ausdrucksgestus der Texte greift vorliegende Sprachmuster auf und rückt sie durch bewußt aggressive Uberspitzung ins Blickfeld. Söllner erbringt dadurch eine Verfremdungsleistung, die als Kennzeichen literarischer Texttypen gilt. Die Nähe zu sowohl alltagssprachlichem als auch populistischem Sprachgebrauch (im Kontext politischer Themen) ist notwendiger Bestandteil des textlichen Wirkungsprofils, das bei den Rezipienten auf eingängige Wiedererkennung von gesellschaftlich geläufigem Zeicheninventar ausgerichtet ist. Dabei spielt auch der enge Bezug zum bayerischen, sozialkulturellen Umfeld eine wesentliche Rolle.
Insgesamt gesehen leistet Söllner einen zwar oft drastischen, in der Präsentation aber verallgemeinerbaren Kommentar zu den gesellschaftlich aktuellen Interaktionsformen, wobei besonderes Gewicht der sprachlichen Praxis zukommt. Aus textwissenschaftlicher Sicht bestimmt Söllners Texte der Anspruch ‚aufklärerischer‘ Gesellschaftskritik, die sich bewußt nicht intellektuell und formal anspruchsvoller Ausdrucksmittel bedient, sondern eine triviale Denk- und Sprachsphäre regionalen Zuschnitts imitativ aufgreift. Deren Vorgaben bestimmen inhaltlich wie stilistisch sein eigenes Ausdrucksverhalten, dessen ästhetischer Vermittlungsleistung man zwar skeptisch gegenüberstehen kann,dessen grundsätzliche Berechtigung als Zeit- und Gesellschaftskommentar man aber für gegeben erachten muß.