SZ MÜNCHEN ZU HANS SÖLLNERs BUCH „BLOß A GSCHICHT“
Mehr als ein privates Dokument
Hans Söllner schreibt ein Buch auf Bayerisch, und Franz Dobler übersetzt es ins Deutsche
Angefangen hatte es mit einem Handel, einem „Deal“, wie Hans Söllner sagt: Er war bei Arbeiten an seinem Haus in Bad Reichenhall von der Leiter gestürzt und gerade noch mal mit dem Leben davongekommen. Der Gerettete beschloss, sich dem „Universum und allen seinen Kreaturen“ gegenüber dankbar zu erweisen. Auf den Alkohol hatte er schon lange verzichtet. Künftig würde er auch kein Fleisch mehr essen. Eine Opfer-Geste, die mehr vom spirituellen Menschen Hans Söllner preisgibt als seine derben Songs oder auch sein Dauer-Clinch mit der Justiz.
Und der Auslöser für ein Buch: „Bloß a Gschicht“. Schon mit seinen letzten Al-ben hatte der Sänger die Protest-Rhetorik weitgehend hinter sich gelassen, kreiste sein Blick stattdessen um die ersten und letzten Dinge, Geburt, Tod und dem bisschen Widerstand dazwischen. Doch nun kamen zu dem Unfall weitere Erschütterungen hinzu: Söllner, der auf Jamaika die Nähe der Rastafaris gesucht hatte und vor Publikum gern provokante Geschichten von „afrikanischen Köni-gen“ zum Besten gab, musste feststellen, dass sich gewisse Formen von Rassismus nicht allein mit gutem Willen brechen lie-ßen. Dass er nie wirklich als „Bruder“ gesehen werden würde – und Jamaika also auch nicht mehr Hoffnung bot als Gie-sing oder Bad Reichenhall. Aus dieser Ernüchterung heraus ging er in Klausur. Erzählte sich fünf Tage lang die Seele leer.Schrieb, weinte und schrieb weiter. „Ich wollte einfach Abschied nehmen: Mich lossagen von falschem Idealismus, altem Zorn den Eltern gegenüber, all den nachtragenden Gefühlen, die das Leben so leicht vergiften können“.
Am Ende waren gut 30 Din-A-4-Sei-ten beschrieben. Söllner holte sie immer dann aus der Schublade, wenn er den Kopf mal wieder frei kriegen wollte, von staatlich angestrengten Beleidigungs-Prozessen wie auch den messianischen Heilserwartungen seiner Hörer. Und doch ist „Bloß a Gschicht“ mehr als ein privates Dokument. Als Söllners Verleger Achim Bergmann die Geschichte in die Hand fiel, bestand er darauf, sie den Fans zugänglich zu machen — zumindest auf Konzerten und per Mail-Order (www.trikont.de).
Da ist die Kuh, die voller Vorahnungen den Tag erlebt, an dem sie der Schlachter aus dem Stall und der Sicher-heit der heimischen Herde herausholt. Mag sein, dass sie nicht denkt und fühlt wie ein Mensch, aber wer ist sich da schon so sicher? In parallelen Erzählsträngen berichtet der Erzähler, wie sein eigener Bruder einst als Bub vom Großvater beinahe totgeschlagen wurde. Wie seine Kinder einen Tag im Monat Eltern spielen dürfen und wie er beschließt, „mir nie wieder anzumaßen, ich sei etwas Besseres als ein anderes Lebewesen auf dieser Welt“. Dabei spinnt er einen feinen Faden vom Autobiografischen hin ins Surreale.
Söllner greift in „Bloß a Gschicht“ niemand an. „Nur die Utopie, die Idee von einem anderen Leben macht frei“, sagt er. Bei aller Ungekünsteltheit von Söllners Vortrag, dem alttestamentarischen Sog seiner Bilderwelt, der zärtlich-brutalen Wortwahl – „Bloß a Gschicht“ ist keine platte Bekehrungsfibel. Sowohl im bayerischen Originaltext wie in Franz Doblers Übertragung ins Hochdeutsche bleibt letztendlich: eine Menge Raum. Raum, die eigenen, überfälligen Abschiede mitzudenken. Raum, die Menschen in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit und Gefallenheit trotzdem zu lieben. Und sich Zeit zu nehmen für das, was wirk-1 ich zählt. „Ich habe das alles langsam geschrieben“, schickt Söllner seinem Buch voraus. „Deshalb sollte man es auch langsam lesen.“
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