Respekt, Herr Söllner

Es ist nicht so, dass wir ihn nicht kennen würden. Und dennoch tanzt da wieder einmal ein Fremder im Zwielicht des Abends. Gerade als wir glauben, seine Setlist abschätzen zu können, schlägt der Mann einen Haken. Wenngleich sein Herz auch das Herz eines Rastamannes ist, seine Seele ist doch vielmehr die Seele eines Wanderpredigers, wie eins Woody Guthrie in seiner tiefsten Staubgeschichten-Ära. Sein Reggae ist alleine eine Liebeserklärung an Bob Marley, eine Hommage der Musik der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Babylon als Synonym der tiefsten Abneigung gegen bayerische Biergemütlichkeit.
Ihn als bayerischen Bob Dylan zu sehen, wird diesem Mann dort auf der Bühne kaum gerecht, auch wenn es genügend Parallelen dazu gäbe. Wie Dylan selbst scheint Söllner stetig ein Suchender zu sein, ein Mann, der niemals sein Ziel erreichen kann, weil er sein Ziel ständig verändert.  Über sein Privatleben gibt es kaum Publikationen, und wenn dann scheinen sie ebenso verwinkelt und getrübt wie Dylans Beschreibungen in Chronicles. Zuzutrauen ist ihm alles, und die meisten tun dies vermutlich auch.


Viet Nam überraschte. Nicht, dass man nicht mit einer Überraschung gerechnet hatte. Standen die frühen Veröffentlichungen noch im engeren Kreise eines Liedermacher-Zyklus, zeigte bereits 21.12.55 die Wendung. Ein Zusammenschnitt in der Hochphase der Bedrohungen und der Verleumdungen, das Protokoll des verfolgten Künstlers. Songs des frühen Söllners konnten mit dem Blick in den Lauf eines Polizei- Revolvers nicht mehr gesungen werden. Auch wenn ihm das viele Leute nicht verzeihen konnten, jene aus der Spaßmacherreihe, die auch nach zwanzig Jahren ausschließlich das Rasenmäher-Lied hören wollten. Es war, als hätte er seine Gitarre mit neuen Saiten bezogen. Songs wie Haare ab, mystisch und raunend wie Dylan in seiner besten Rolling-Thunder Zeit gaben Auskunft über Söllners Seelenverfassung. Auch das verbindet Söllner mit Dylan. Die Zeit änderte sich und mit der Zeit das Publikum.  

Viet Nam könnte am gleichen Tag eingespielt worden sein wie Oiwei I. Ein Dylan Song schlüpfte fast unbemerkt zwischen die Aufnahmen, und fügte sich so gut ein, dass man meinen könnte, Dylan hätte ihn auch für Söllner geschrieben. Gerade mit diesen beiden Scheiben hinterlässt der Reichenhaller den Soundtrack unserer Zeit. Wie einst Kraudn Sepp und Roider Jackl mit ihren musikalischen Wegweisern aus Bayern heraus, irrt Söllners Liedgut zwischen Hass und Liebe, zwischen Zorn, Wut und Versöhnung. Er sei gerade mit seinen neuesten Aufnahmen unpolitisch geworden, knurrten die üblichen Verdächtigen aus den letzten Konzertreihen. Aber auch das widerlegt sich spätestens beim zweiten Hinhören. Da geht die Dia auf oder Viet Nam  könnte 68 geschrieben worden sein – in diesem Sinne war Söllner selten zuvor so politisch wie bei Viet Nam. Zornig und kaum einen Atemzug später liebend. Kaum ein Söllner-Lied berührte die Menschen mehr als I sig a grea. Der abgefangene Akkord zu Beginn, und diese kaum beschreibbare Vermengung von Einfachheit und Schwere, von Tod und Leben. Dabei werden Bilder gemalt, die man mit Söllner seit einiger Zeit unweigerlich verbindet. Vielleicht rühren die Bilder auch von seinen zwei Filmen, Skizzen eines außergewöhnlichen Lebens. Einer vom Volk, der am Abend auf seiner Hausbank sitzt und den Frieden gefunden hat. Es ist wie bei Dylans Not Dark Yet, bei dem man ohne es zu wollen den Sänger in einer Wonderboys Schneelandschaft stehen sieht. Söllner flüstert von Hoffnungslosigkeit und wendet damit das Blatt. Kaum ein bayerischer Liedermacher der jüngsten Zeit konnte mit solchen Farben malen. Dennoch verzeihen sie ihm nicht A Drecksau is a Drecksau, und werfen ihm sofort billige Effekthascherei vor. Dabei übersehen sie mit der üblichen Ignoranz völlig, dass Söllner dies längst nicht mehr nötig hat. Zudem waren sie es selbst, die ihn eine Drecksau nannten, und  wenn sie ihn auch nicht mehr Die Drecksau von Reichenhall betiteln, verkennen sie wieder einmal einen der ganz Großen. Aber auch das ist ja nichts neues, in Deutschland, speziell in Bayern schon gar nicht. Johnny Cash musste erst wiedergeboren werden im Taumel der American Records von Rick Rubin, damit man ihn endlich wieder im richtigen Licht sah. Vielleicht wird es auch Söllner so gehen müssen. Vielleicht aber hat er auch Glück, und sie werden es endlich verstehen können, dass man in Bayern anders spricht, anders denkt und anders träumt.
 
Ohne Zweifel hätte auch Dylans Wigwam auf eine dieser Scheiben seinen Platz gefunden. Vielleicht träumt er selbst von seinem eigenen Wigwam, einem großartigen Song, mehr Fragment als Song, der als unbedeutend auf keinem Sampler erscheint. Aber dennoch beeinflusst und immer wieder im Traum erscheint. Manchmal, wenn die Nacht dunkel und einsam ist, glaube ich ein oder zwei Takte davon zu hören, irgendwo zwischen Freiheit und Damaskus. Vielleicht hat das Söllner auch schon längst geschafft. Vielleicht werden wir sein eigenes Wigwam irgendwann einmal hören dürfen.
Ein Journalist schrieb vor einiger Zeit im Rahmen der Veröffentlichung von Johnny Cashs Solitary Man, dass er für jede weitere Scheibe beten würde.
Mir geht es nicht viel anders bei Söllner.
 
Herr Söllner – mein Respekt.
 
Richard Lorenz